2010/2011
Cymbelin 13 +
von William Shakespeare
in einer Fassung von Henry Mason
Stückinfo
Ort: | Renaissancetheater, Neubaugasse 36, 1070 Wien |
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Zeitraum: | 05. April 2011 - 07. Mai 2011 |
Premiere: | 08. April 2011 |
Regie: | Henry Mason |
»Posthumus: Ein Traum ist's; oder Zeug, das Geisteskranke
William Shakespeare. Cymbelin
Geistlos daherlallen. Beides? Weder noch?
Ideen ohne Verstand? Oder Ideen,
Die der Verstand allein nicht greifen kann,
So wie mein Leben?«
In Shakespeares hinreißender Phantasmagorie kollidieren Welten und Zeiten. Im vorchristlichen Britannien steht die Königsfamilie vor einer Zerreißprobe, als Königstochter Innogen gegen den Willen ihres Vaters Cymbelin einen jungen Niemand namens Posthumus zum Mann nimmt. Dieser Posthumus geht im Renaissance-Italien eine verheerende Wette mit Iachimo ein. Während Cäsars Heerscharen gegen Britannien marschieren, skandiert Cymbelins königliche Gemahlin nationalistische Sprüche. Und die von allen Seiten verratene und verfolgte Innogen – ein Schneewittchen in Männerkleidung – flieht währenddessen tief in die walisischen Berge und stößt dort auf ein verblüffendes Familiengeheimnis, das rollende Köpfe, Geistererscheinungen und große Schlachten zur Folge haben soll …
In seinem Spätwerk »Cymbelin« träumt Shakespeare von sich selber: ein Plot, der an buntem Aberwitz seinesgleichen sucht. Wohl auch aufgrund dieser Vielfalt an Handlungssträngen und plötzlichen Wendungen war das Stück zu seiner Entstehungszeit um 1610 außerordentlich populär, und das aus gutem Grund: Politik trifft auf Pathos, Liebe auf Leid und Gefühl auf Gewalt.
Im Zentrum dieser herrlich absurden, tragikomischen Geschichte stehen zwei junge Liebende, die den Glauben an den anderen verlieren müssen, um zu sich selbst zu finden – und eine zerrissene Familie, die entgegen jeder Vernunft, jeder Hoffnung und jeder Logik wiedervereint wird. Ein Shakespeareabenteuer, unwahrscheinlich spannend und unterhaltsam für Kenner wie für Ersteinsteiger, in einer neuen Fassung von Oberspielleiter Henry Mason für das Theater der Jugend.
Besetzung
Cymbelin / Philario / Gefängniswärter | Klaus Huhle |
Innogen | Ulrike Schlegel |
Posthumus / Cloten | Daniel Jeroma |
Königin / Pisanio | Nora Dirisamer |
Iachimo / Gaius Lucius | Christian Higer |
Belarius | Horst Eder |
Guiderius / 2. Gentleman / 1. Lord / Franzose | Simon Jaritz |
Arviragus / 1. Gentleman / 2. Lord / Cornelius | Merten Schroedter |
Soldaten / Diener / Traumgestalten | Ensemble |
Regie | Henry Mason |
Bühne | Judith Leikauf, Karl Fehringer |
Kostüme | Jan Meier |
Licht | Christian Holemy |
Bewegungs- und Kampfcoach | Karl Alfred Schreiner |
Musik | Franz Flieger Stögner |
Dramaturgie | Marlene Schneider |
Assistenz und Inspizienz | Katharina Gerstmayr |
Hospitanz | Laura Söllner |
Kritiken
Der Standard – 13.04.2011Rote Ohren dank Shakespeare
Eines ist klar: Das Zielpublikum wird im Theater der Jugend nicht unterschätzt. Die Figuren in Henry Masons Inszenierung von Shakespeares Cymbelin, das derzeit im Wiener Renaissancetheater ab 13 Jahren zu sehen ist, kommen verbal mitunter derart zur Sache, dass die schamesroten Ohren nur so schlackern. Zudem fällt die Spieldauer mit über zweieinhalb Stunden für ein Stück Jugendtheater eher üppig aus. Wenn die Aufführung derart überzeugend ist, macht das jedoch gar nichts.
Mason gelingt es, das oft gescholtene und selten gespielte Spätwerk Shakespeares gleichermaßen spannend wie auch nachvollziehbar in Szene zu setzen. Der üppigen Romanze, in der Innogen (Ulrike Schlegel), die Tochter des Königs Cymbelin (Klaus Huhle), nach vielen Intrigen und Verkleidungen doch noch zu ihrem geliebten Posthumus (Daniel Jeroma) findet, begegnet der auch die Textfassung verantwortende Oberspielleiter des Hauses mit leichter Ironie. Die Geschichte um Liebe, Politik und böse Stiefmutter (Nora Dirisamer) wird aus der 2000 Jahre alten britischen Sagenwelt in eine Parallelwelt verlegt, in der Telefon und Anzug (Kostüme: Jan Meier) ebenso zum Alltag gehören wie epische Schlachten mit überdimensionierten Waffen. Auch das gelungene Bühnenbild von Judith Leikauf und Karl Fehringer verortet die Handlung im Reich der Träume und Fantasie. Wo zunächst auf dem zur Wand hochgeklappten Boden zwei leere Gitterbetten Cymbelins größten Verlust bezeugen, entstehen später eine romantische Höhle und ein apokalyptisches Schlachtfeld. Christopher Nolans Inception trifft endgültig auf Sigmund Freud.
Auf offener Bühne vollzogene Kostüm- und Rollenwechsel – fast alle Mitglieder des starken Ensembles spielen mehrere Figuren – relativieren die wild konstruierte Handlung. Der Schluss, wenn alle Intrigen enthüllt werden, gerät schließlich zum komischsten Teil des kurzweiligen Abends. So hat das Publikum noch Kraft für großen Beifall, den die sichtlich erschöpften Darsteller glücklich empfangen.
Dorian Wallner
Kurier – 10.04.2011
»Cymbelin«: Shakespeare auf die zeitgemäße Art
Hat der halbstarke Sohn der Königin da jetzt eben »ficken« gesagt? Hat Innogen, die schöne Königstochter, von Botox gesprochen? – Nein, man hat sich nicht verhört. Die modernen Zeiten haben auch Shakespeare eingeholt. Wer den Großmeister des klassischen Dramas heute einem jugendlichen Publikum verkaufen will, der muss sich anpassen.
Henry Mason, der Regie-Großmeister des Theaters der Jugend, hat den mutigen Schritt getan. Hat »Cymbelin«, eines der Spätwerke Shakespeares, so umgeschrieben und inszeniert, dass er nach wie vor klug, emotional und turbulent, aber gleich aufs erste Hinhören verständlich ist. Er erzählt die Geschichte des Königs Cymbelin, der sich von seiner intriganten Frau in einen Familienzwist und in den Krieg gegen Italien treiben lässt, mit einer Leichtigkeit und Lust, die spürbar ist.
Seine Schauspieler folgen ihm mit Verve: Fast alle übernehmen gleich mehrere Rollen: Daniel Jeroma spielt Posthumus und Cloten, die beide um die Gunst Innogens (Ulrike Schlegel) buhlen. Klaus Huhle ist zugleich König, Diener und Gefängniswärter. Zweieinhalb Stunden Shakespeare auf die relaxte Tour: Experiment gelungen!
Susanne Lintl
Wiener Zeitung – 12.04.2011
Tempo als Devise
Die Krone sitzt schief, der Blick ist verwirrt und abwesend. Krampfhaft hält er zwei Teddybären in seinen Armen. Denn: Die Söhne von König Cymbelin wurden vor 20 Jahren entführt.
Als wäre das nicht schon genug, hat auch seine Tochter Innogen nichts als Flausen im Kopf. Sie nimmt den mittellosen Posthumus zum Mann. Der wird vom britischen Hof verbannt und schließt seinerseits im römischen Exil eine absurde Wette ab, um die Treue seiner Liebsten zu testen. Die Königin und böse Stiefmutter möchte ihren Sohn Cloten auf den Thron hieven und wird zur Giftmischerin.
»Cymbelin« gehört zu den späten Werken von Shakespeare. Henry Mason hat diese Romanze im Renaissancetheater adaptiert und recht spritzig inszeniert. Sowohl Kostüme (Jan Meier) als auch Sprache sind ganz heutig. Die traumhafte Romanze ist der straffen Komödie gewichen, die Verklärung dem überdrehten und teils jovialen Spiel.
Tempo heißt die Devise des Abends. Flott und pointiert gestaltet sich die Dramaturgie (Marlene Schneider). Klaus Huhle zeigt König Cymbelin voller Gram und verletzlich, ein gebrochener Mann, der seiner intriganten Frau ausgeliefert ist. Komödiantisches Talent beweisen Nora Dirisamer als Königin und Daniel Jeroma als debiler Sohn Cloten.
Helene Kurz
Kronenzeitung – 10.04.2011
Spiel der Täuschungen
Es gehört zu den fast unbekannten Stücken des Großmeisters des englischen Theaters: »Cymbelin« wurde 1611, fünf Jahre vor Shakespeares Tod, uraufgeführt.
Henry Mason, Oberspielleiter des Theaters der Jugend, setzt auf eine rasante Inszenierung. Degenkämpfe und Schlachten begeistern die jungen Besucher. So spielt Nora Dirisamer – gekonnt die Kostüme auf offener Bühne wechselnd – die böse Stiefmutter und den Diener Pisanio. Daniel Jeroma ist böser Intrigant Cloten und guter Ehemann Posthumus. Und Simon Jaritz und Merten Schroedter spielen, nur Anzug mit Hemd wechselnd, die wiedergefundenen Söhne Guiderius und Arviragus sowie Soldaten, Lords und Gentlemen.
Nur die attraktive Ulrike Schlegel spielt allein und pointiert Innogen, Klaus Huhle ist der erst gebrechliche, später tapfer kämpfende Cymbelin und Horst Eder der verstoßene, zum Kindsräuber gewordene Belarius. Christian Higer spielt den vermeintlichen Liebhaber Innogens, Iachimo, dem seine Täuschungen verziehen werden.
Eindrucksvoll das Bühnenbild: raue Holzpodeste, zwei leere Kinderbetten, die im Wald zu Höhleneingängen werden.
Volkmar Parschalk
KiKu – 12.04.2011
Liebe, (Un-)Treue, Intrigen, Tragödie mit Komödien-Momenten
Ein Knäuel von Konflikten
Ein unentwirrbar scheinender Ausgangsplot – gleich auf mehreren Ebenen Wickel, die nur tragisch enden können: Der alte, gebrechliche König (Klaus Huhle), dessen Namen dem Stück den Titel gibt. Die deutlich jüngere Königin (Nora Dirisamer), die noch deutlicher zu verstehen gibt, dass sie nicht den Mann, sondern nur seine Macht will. Zwei Söhne, die im Kleinkindalter entführt wurden, Thronfolgerin Innogen (Ulrike Schlegel), die den »falschen« Mann liebt. Posthumus (Daniel Jeroma) ist von niedrigem Stand. Diese Liebe soll im Verlauf des Stücks ganz massiv auf die Probe gestellt werden. Ein Haufen von Intrigen lässt beide die Untreue der/des jeweils anderen annehmen.
Ja und zum »Drüberstreuen« Krieg zwischen Briten und Römern.
Knisternde Spannung
Verzweifeltes Abhauen mit dem Versuch unterzutauchen der beiden Liebenden, tragisches vermeintliches Zusammentreffen, das starke Anklänge an Romeo und Julia liefert – einer tot, die andere will deswegen auch nimmer leben. Dabei steckt der Geköpfte nur im Anzug des vermeintlich treulos Geliebten und ist eigentlich der böse Ungustl-Stiefbruder der Prinzessin, der sie dauernd bedrängt. Genial der Schachzug, eben diesen Cloten mit genau dem Darsteller des Posthumus zu besetzen – ein Doppelrollen-Schachzug, der auch bei anderen Figuren ganz spezielle Reize auslöst (etwa böse Königin und treuer Diener erst von Posthumus, dann von Innogen (Dirisamer)).
Besonders spannend und knisternd das Aufeinandertreffen der geflüchteten Prinzessin in der Rolle eines dienerwilligen jungen Mannes mit Guiderius (Simon Jaritz) und Arviragus (Merten Schroedter), den herangewachsenen, entführten Königssöhnen …
Lang und doch nicht zu lang
Je länger das Stück dauert, desto mehr gelingt es, das Publikum zu erreichen. Trotz der Dauer (2 3/4 Stunden mit einer Pause) wird es – abgesehen vom zähen Start – nie langweilig, besonders die zweite Hälfte kommt sehr flott daher, erreicht die jungen Zuschauer_innen recht direkt – samt »oooohs« und »aaaahs« als Reaktion auf Szenen ironischer »tragischer« Momente.
Das ziemliche Happy End (nur fast alle Bösen sind tot) wird geschickt mit einem genau richtig dosierten Hauch von Ironie so gespielt, dass es nicht in Kitsch ausartet, nicht kippt.
Heinz Wagner
Materialien
FÜR LEHRER(INNEN): GET! it
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