2006/2007
norway.today 13 +
von Igor Bauersima
Stückinfo
Ort: | Theater im Zentrum, 1010 Wien, Liliengasse 3 |
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Zeitraum: | 18. Januar 2007 - 29. März 2007 |
Premiere: | 20. Januar 2007 |
Regie: | Alexander Brill |
»Das was zählt, ist nicht die Länge eines Lebens, sondern dessen Intensität.«
(Jacques Brel)»The secret of life is honesty and fair dealing. If you can fake that, you've got it made.«
(Groucho Marx)
Was, wenn man »das ganze Leben noch vor sich hat«, dieses Leben einen aber völlig kalt lässt? Wozu in einer Welt auf die Rente warten, in der doch »alles nur Fake« ist? Was, wenn man keine Lust hat, nach einem »Sinn«, einem »Inhalt« oder seiner »Lebensaufgabe« zu suchen?
Julie und August lernen sich in einem Chatroom im Internet kennen und merken schnell, dass sie sich auf einer Wellenlänge befinden. Beide treibt die Sehnsucht nach dem absoluten Kick – Selbstmord aus Übersättigung? Und warum den »Abschied« nicht als großes Theater inszenieren?
Kurzerhand beschließen die beiden, sich in Norwegen von einer Klippe zu stürzen. Ausgerüstet mit Zelt, Proviant und einer Videokamera lagern die todessehnsüchtige Julie und der zögerliche August hoch über einem norwegischen Fjord. Am Rande der Welt, am Ende des Lebens, entdecken beide das Schauspiel der Natur, Polarlicht und überwältigende Schönheit von Felsen, Klippen, Meer und unendlicher Ruhe.
Ein Abschiedsvideo für Freunde und Familie wird gedreht, und überraschend komisch lernen die beiden zwischen echtem und falschem Gefühl, Lüge und Wahrheit, Lebendigkeit und Erstarrt-Sein zu unterscheiden. Gibt es da vielleicht doch ein Leben, das gelebt werden sollte?
Nach der Uraufführung in eigener Regie wurde das achte Stück Igor Bauersimas zu einem wahren »Renner« auf deutschsprachigen Bühnen. Vielfach inszeniert und mit zahlreichen Preisen bedacht ist dieses packende und einfühlsame Dokument über das Jungsein gleichzeitig ein unüberhörbares Plädoyer für das Leben.
Aufführungsrechte: S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main
Besetzung
Julie | Silvia Meisterle |
August | Stefano Bernardin |
Regie, Bühnenbild, Licht | Alexander Brill |
Kostüme | Christine Dosch |
Videogestaltung | Thomas Waldek |
Bewegungscoach | Gerda Schorsch |
Dramaturgie | Marlene Schneider |
Assistenz und Inspizienz | Eva Maria Gsöllpointner |
Kritiken
Kronen Zeitung – 22.01.2007Erneute Bühnenprüfung bestanden!
Igor Bauersima zählt zu den erfindungs- und erfolgreichsten Theaterautoren der Gegenwart! So war es eigentlich eine Königsidee des Theaters der Jugend, »norway.today« sechs Jahre nach der gelungenen Wiener Erstaufführung wieder zu zeigen: Die Bühnenprüfung hat das Stück bestanden!
Im Theater im Zentrum präsentiert sich die Geschichte zweier junger Menschen, die sich via Internet-Chat zum Freitod verabreden, in ganz andere Weise als damals: Regisseur Alexander Brill (Jahrgang 1944) sieht die Dinge nicht so brutal, schräg und schrill. Seine beiden Jugendlichen, übersättigt von Kommerz und Geschäft, ratlos und auf der Suche nach echten Gefühlen, sind Typen von nebenan, ein bisschen frech zwar und doch scheu, abgetaucht ins virtuelle Universum, auch orientierungslos, einsam, verdrossen …
Silvia Meisterle (Julie) und Stefano Bernardin (August) bewegen sich zwischen effektvollen Videokamera-Welten (Gestaltung: Thomas Waldek) und der Wirklichkeit: Am Rande des Abgrunds des norwegischen Fjords kommen sie drauf, dass das im Leben doch nicht »nur alles Fake« ist. Ihnen passiert eine Liebesgeschichte, die Bauersima heutig und doch so berührend erdachte.
Bernardin zeigt seine große Wandlungsfähigkeit: mit der Brille des Kurzsichtigen auf der Nase, wohl mit lauwarm-feuchten Händen und Angst vor der eigenen Courage sieht dieser Softie das Polarlicht, findet zu sich und zur Erkenntnis, dass da im Leben doch noch etwas sein könnte statt dem Nichts: vielleicht auch ein bisschen Glück? Silvia Meisterle hat das Dasein satt. Ihre Aggressivität und ihr schwarzer Humor täuscht nur über innere Leere hinweg. Meisterle blickt in den Abgrund, Bernardin verliert die Unschuld: ein intensiver Theaterabend!
Thomas Gabler
Kurier – 29.01.2007
In Abgründe geblickt
In einem Chatroom im Internet haben sie sich verabredet; gemeinsam wollen sie in den Freitod gehen. Sie, das sind die beiden Jugendlichen Julie und August, die in Igor Bauersimas populärem Stück »norway.today« einfach nicht mehr funktionieren wollen, die ihrem Weltekel per Selbstmord entfliehen wollen. Doch nach einem Blick in die Abgründe eines (echten) Fjords und auch in jene der eigenen Seele gerät die Mission Doppelselbstmord plötzlich ins Wanken, entdecken die beiden Teenager doch noch schöne Seiten am Leben.
Mit »norway.today« hat Autor Igor Bauersima im Jahr 2000 einen echten Hit gelandet; auch im Theater im Zentrum geht das Kalkül auf. Regisseur Alexander Brill (auch Bühne) setzt auf sehr wenige Requisiten, viele Video-Einspielungen (Gestaltung: Thomas Waldek) und Close-ups seiner Darsteller. Dass Brills Inszenierung ein wenig betulich, etwas handzahm und belehrend wirkt, stört kaum. Zu gut haben sich Silvia Meisterle und Stefano Bernardin ihre Rollen angeeignet. Hier die scheinbar unerschrockene Macherin Julie, dort der schüchterne Brillenträger und Träumer August.
Denn zwischen Meisterle und Bernardin stimmt die Chemie; beide setzen auf Zwischentöne und stellen die Verlorenheit ihrer Charaktere schön aus. Ganz ungekünstelt und uneitel werden die Nöte und Sorgen von Julie und August sichtbar; berührend die romantisch-sexuelle Annäherung der potenziellen Selbstmörder. Ein insgesamt gelungenes Plädoyer für das Leben.
Peter Jarolin
Schüler-Standard – 25.01.2007
Eine ewige Suche am Abgrund
»Das Ende war zuerst offen. Ich habe die Schauspieler gefragt: Könnt ihr jetzt springen?«, erzählt Regisseur Alexander Brill über die Arbeit mit Silvia Meisterle und Stefano Bernardin, den Darstellern seines Werkes norway.today, nach einem auf wahrer Begebenheit beruhenden Roman von Igor Bauersima.
Brills Inszenierung konzentriert sich dabei auf die Schauspieler, sowohl Bühnenbild als auch Requisiten sind äußerst spärlich. Dies ist nicht als Manko zu sehen, eher im Gegenteil: Die beiden Darsteller haben so die Möglichkeit, unabgelenkt alles zu zeigen, was sie können – und das ist sehr, sehr viel. Man nimmt ihnen ihre Rollen ab, man kann nachvollziehen, warum sie den Suizid als Ausweg sehen: Sie ertragen die heutige Zeit, das heutige Leben nicht mehr; die steigende Genuss- und Erfolgssucht, die Masken, die man täglich tragen muss. Das hervorragende Script macht das Stück auch für Erwachsene sehenswert. Als zusätzliche Visualisierung wird eine Funkkamera verwendet, eine sonst eher unübliche Methode, die jedoch perfekt passt. Die Musik ist nett, wäre aber nicht nötig gewesen.
Ist das Leben der Sieg?
Worüber man sich den Kopf zerbrechen kann, sind die Kostüme. So trägt Bernardin eine Hose mit Strasssteinen in allen Farben. Die Kostümbildnerin erklärt dies mit ihrem Verständnis der Geschichte als ein modernes Märchen, in dem die beiden Rollen Prinz und Prinzessin seien, die sich gegen das Böse behaupten müssen. Ob sie siegen, ob sie ins Leben zurückfinden – oder ob das Leben überhaupt der Sieg wäre – sei dahingestellt.
Auf jeden Fall aber ist norway.today ein schwieriges Stück, das zum Denken anregt. Wie wird man glücklich? Julie erklärt das Konzept mithilfe dreier Fragen: »Was will ich sein?«, »wie will ich sein?« und »wer will ich sein?«. Leider sind diese nicht leicht zu beantworten. Es kann ein Leben lang dauern. Das Verzweifeln liegt oft näher als das Hoffen. Die beiden Charaktere des Stücks sind des Hoffens und Suchens müde, sie wollen keinen anderen Weg mehr sehen.
Wer fühlt nicht manchmal dasselbe? Dabei ist genau dies das Leben: Eine ewige Suche, nach Glück, nach Liebe, nach einem tieferen Sinn. Eine Suche, die ruhig mal an einem Abgrund vorbeikommen darf. Aber sie darf dort nicht enden.
Simone Weiss
Schüler-Standard – 25.01.2007
Zwischen Juli und August liegt Selbstmord
»Die Notwendigkeit eine Rolle zu spielen macht mir jede Gesellschaft lästig.« Diese Ansicht teilen die beiden Jugendlichen Juli und August (dargestellt von Silvia Meisterle und Stefano Bernadin). Juli, die schon alles gekostet hat und August, der nie etwas zu kosten bekommt. Zwei völlig verschiedene Menschen und doch verbindet die beiden mehr als nur der lustige Zufall ihres Namens. Nein, auch ein großer Entschluss. Die beiden wollen sich umbringen. Zusammen. Auf einer Klippe in Norwegen.
Das von Alexander Brill inszenierte Stück norway.today, das am 20. Jänner im Theater im Zentrum (Liliengasse 3) Premiere hatte, behandelt die Schattenseiten der Jugend, die bis hin zur völligen Resignation führen können, mit viel Gefühl. »Leben ist für mich ein Problem, das ich jeden Tag leben muss«, ist Augusts Meinung und für ihn ein Grund mehr, dieses Problem ein für alle mal aus der Welt zu schaffen. Ein Stück, das nicht zu unrecht vom Theater der Jugend aufgeführt wird, denn schließlich ist es hier die Jugend, die laut den Protagonisten in einer kalten, toten Welt lebt, in der alles nur fake und nichts mehr echt ist.
Die Inszenierenden versuchten mit wenig, jedoch klarem Bühnenbild und ausgefallenen Kostümen die Darsteller ganz in den Mittelpunkt zu stellen. Durch die Natürlichkeit der Schauspieler und die realen Dialoge fühlt sich der Zuschauer beinahe in seiner Privatsphäre beschnitten, denn jeder kann sich in einem Charakterzug der Protagonisten wiederfinden. Die Beweggründe sind meist verständlicher als angenommen. Der Zuschauer ringt eineinhalb Stunden mit den Darstellern um die Entscheidung, ob es sich zu gehen oder zu bleiben lohnt. Dieses Stück ist nicht allein Jugendlichen zu empfehlen, auch Erwachsene sollten sich mit diesem Teil der Welt ihrer Kinder konfrontieren. Ein allgegenwärtiges Thema wird gut, aber auch mit einem gewissen tragischen Humor gepackt, der es uns ermöglicht uns einzulassen. Dafür reichen hier zwei Schauspieler und eine einfache Aufmachung aus. Auch wenn das Stück anfangs etwas mit Klischees spielt, wandelt es sich doch nicht zum Kommerz. Schließlich ist es eine wahre Geschichte, die Igor Bauershima als Vorlage niederschrieb.
Weder der Vorstellung von völliger Tragik noch der eines glorreiches Heldenendes wird dieses Stück entsprechen. Die Aufforderung lautet einfach nur zuzusehen und die Botschaft auf sich wirken lassen. norway.today ist ein berührender Einblick in die Seele der Jugend, der auf jeden Fall zu empfehlen ist.
Helena Trenks
Schüler-Standard – 25.01.2007
Aus Lebenshunger ins Abenteuer Tod
»Morgen werden wir sterben und ich bin so glücklich«, sagt Julie am Abend vor ihrem tödlichen Vorhaben, von der Klippe zu springen. Sie ist mit August nach Norwegen gereist, um aus einem Internet-Chat über Selbstmord ernst zu machen.
Doch vor der Klippe verspürt August (Stefano Bernardin) doch Angst. Er ist erst neunzehn und hätte noch ein langes Leben vor sich. Den Sprung in den Tod vor Augen rechnet er vor: »Das sind 600 Meter, ein Mensch erreicht im freien Fall eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 200 Kilometer pro Stunde. Das sind zehn Sekunden freier Fall. Was machst du in diesen zehn Sekunden?« Julie (Silva Meisterle) meint darauf nur: »Du stirbst und bist tot.«
Tod aus Langeweile
Ist das Leben wirklich so langweilig, dass man das Abenteuer im Tod suchen muss? norway.today, das Stück von Igor Bauersima, hat das Theater im Zentrum neu auf die Bühne gebracht. Aus Langweile am Leben wollen die beiden jungen Menschen Selbstmord begehen. Aus Sehnsucht nach wirklicher Gemeinschaft, zumindest, wenn schon sonst nie, in den Sekunden vor dem Tod.
Das Bühnenbild ist schlicht und mit zahlreichen Lichteffekten ausgestattet. Es befinden sich viele weiße Flächen auf der Bühne, aus denen Leinwände entstehen, auf die kurze Filme projiziert werden. Die Kostüme sind lustig anzusehen, weil sie farbenfroh und altmodisch zugleich sind. Die Kostümbildnerin Christine Dosch erzählt, dass sie an das Mittelalter erinnern sollen, weil norway.today ein neumodisches Märchen sei.
Die Geschichte basiert auf einer wahren Begebenheit, im Winter 2000 sprangen die beiden jungen Menschen in den Tod. Aber im Theaterstück finden sie durch den jeweils anderen ins Leben zurück. In den Abschiedsvideos, die sie am Klippenrand drehen, finden sie nicht die richtigen Worte und auch nicht den Willen, um sich von ihrer Familie zu verabschieden.
Als sich Julie über die Klippe beugt, erinnert sie sich daran, wie sie als Kind von ihrem Vater über denselben Abgrund gehalten wurde. Von da an ist dem Zuseher klar, dass sie doch nicht springen wird. Um das Abenteuer von Freiheit und Nähe gleichzeitig zu fühlen, muss man nicht dem Tod ins Auge sehen, sondern dem Leben.
Simon Schenk-Mair
Schüler-Standard – 25.01.2007
Was tut man, wenn einem das Leben nichts mehr bietet?
Was tut man, wenn einem das Leben nichts mehr bietet? Wenn man »alles« bereits einmal probiert hat? Depressiv werden oder sich gleich umbringen? In »Norway.Today« von Igor Bauersima entschließen sich Julie (Silvia Meisterle) und August (Stefano Bernardin), die sich übers Internet kennengelernt haben, gemeinsam ihr Leben zu beenden.Oder wie August so schön sagt »dem Unglück zuvorzukommen«. Julie hat das Gefühl, ihr Leben bereits gelebt zu haben und darum geht sie jetzt, freiwillig, und zwar so, dass es sich lohnt. »Depressive Selbstmörder sind Waschlappen« erklärt sie August. Warum also nicht gleich aussteigen, wo doch eh alles nur Fake ist. Zwei Tage verbringen Julie und August gemeinsam auf der Klippe in Norwegen und erkennen, als sie selbst nach dem 20sten Versuch nicht die richtigen Worte für das Abschiedsvideo finden, dass sie nicht mehr wissen, warum sie einmal sterben wollten.
Alexander Brill inszeniert das Stück, welches auf einer wahren Begebenheit beruht, mit einfachen Mitteln. Auf einer nahezu leeren Bühne steht ein Zelt, das auch als Leinwand dient. Julie und August filmen sich gegenseitig bei ihren Abschiedsreden, die gleichzeitig auf die Zeltleinwand übertragen werden, was die Intensität sehr verstärkt.
Die Blumenkränze und Grablichter am Rande der Bühne, am »Rande ihres Grabes« waren für die Zuschauer, die weiter hinten im Parkett saßen, leider etwas schwer erkennbar. Doch das Stück, welches an sich schon sehr gut ist, gewinnt nocheinmal durch die tolle Darstellung der beiden Schauspieler. Silvia Meisterle war bereits in vielen Inszenierungen am Theater der Jugend zu sehen, während Stefano Bernardin einigen vielleicht aus Dancing Stars bekannt ist. Die Wiedererkennungsquote dürfte aber ziemlich gering sein, denn was eindeutig irritiert, sind die Kostüme: Ein Plusterärmelhemd sowie eine mit Strasssteinchen übersäte Hose für August und ein rosa Tüllröckchen für Julie. Die Anspielung auf eine Liebesgeschichte à la Romeo und Julia während der Ritterzeit ist für mich schwer zu verstehen.
Alles in Allem ist »Norway.Today« ein sehr gelungenes Stück, das nicht nur für Jugendliche, sondern auch für Erwachsene sehenswert ist.
Alena Soucek
Schüler-Standard – 25.01.2007
»norway.today« – Selbstmord als Lebenshilfe
Ein weißes Zelt im schwarzen Dunkel, ein mit Plüschtieren und Kunstblumen dekoriertes Grabkreuz im Vordergrund und das endlose Grün eines norwegischen Abgrundes bilden den »suiziden« Background für Igor Bauersimas Zwei-Personenstück »NORWAY.TODAY« im Wiener Theater im Zentrum.
Unter der brillanten Regie von Alexander Brill brillieren Nestroy-Preisträger und Ex-Dancingstar Stefano Bernardin als vor Langeweile frustrierter August und Silvia Meisterle als vom Leben übersättigte Julie. Beide verkörpern zwei vom Suizid infizierte Lebens- bzw. Todeskünstler, deren größte »Gemeinsamkeit« ihr charakterlicher »Gegensatz« ist! Eigentlich haben Julie und August gar keinen Grund zu sterben, aber sie finden auch keinen um zu leben! So verabreden sie per Internet ihren Selbstmord!
Im facettenreichen Dialog-Spiel ständig wechselnder Emotionen, das sich sowohl tragischer als auch komödiantischer Elemente bedient, skizziert Igor Bauersima die letzten Stunden zweier Menschen vor ihrem Todessprung in die Tiefe! Sie reden von sich und doch aneinander vorbei! Sie propagieren den Tod als Endlösung ihres eigenen »sinnlosen« Daseins, vermitteln aber dem Anderen aktive Lebenshilfe zur Fortsetzung seines doch »sinnvollen« Lebens. Als mediales Dokumentationsmittel ihrer letzten Botschaften an die Nachwelt dient eine Videokamera. Durch deren oft skurrilen Einsatz entdecken Julie und August das Irreale ihres Unbewussten als bewusst erlebte Realität. Filmische Äußerlichkeiten werden zu Röntgenbildern ihrer Seelen, die zu eigener Selbstanalyse und zwischenmenschlichem Vertrauen führen! Schließlich präferieren Julie und August nicht mehr das ICH des jeweils Anderen, sondern das eigene! Der »Wert« eines »Lebens« wird als »lebenswert« erkannt, und die letzte Phase des Pessimismus als erste Tendenz zum Optimismus diagnostiziert! Der Freitod mutiert zum Geburtshelfer!
Zu guter Letzt wird das Dunkel finsterer Gedankengänge erhellt und in Form des »Nordlichts« spektakulär auf die Bühne gezaubert. Mit der richtig dosierten Akzentuierung musikalischer, optischer bzw. pyrotechnischer Effekte lässt Alexander Brill seine Protagonisten Stefano Bernardin und Silvia Meisterle durch die »fremden Welten« zweier »Weltfremder« chatten. Und beide erzeugen »spielerisch schauspielerisch«, was am Beginn eines intensiven Theaterereignisses unmöglich scheint: »Gefühlswärme, die niemanden kalt lässt«! Igor Bauersimas »NORWAY.TODAY« macht Theater zum Chatroom, in dem alle Altersgruppen »surfen« sollten.
Sandra Hold
Fratz & Co online – 29.01.2007
»Hi, mein Name ist Julie! Ich werde mir morgen das Leben nehmen und werde es nicht alleine tun!«
Gesagt, getan. In einem Chatroom lernt sie den schüchternen August kennen und findet in ihm einen »Seelenverwandten«, der bereit ist sich mit ihr in den Tod zu stürzen. Ausgerüstet mit Zelt, Proviant und einer Videokamera lagern die zwei todessehnsüchtig hoch über einem norwegischen Fjord, wo auch der Großteil des Stückes spielt. Nach und nach erfährt man die Gründe, warum die beiden nicht mehr leben wollen und man fühlt mit den Schauspielern mit. In dieser rasanten Welt, in der Konsumwahn und Leistungsdruck herrschen, fanden sie sich nicht mehr zurecht und wurden zu Außenseitern, die jegliches Gefühl für sich und andere verloren. Doch auf der Klippe, so kurz vor dem geplanten Tod, lernen sie sich besser kennen und fühlen sich auf einmal wieder lebendig … als sie beginnen das Abschiedsvideo für ihre Eltern zu drehen, werden ihre Gefühle zueinander immer stärker …
Spannend bis zur letzten Minute wird man nach Ende dieses Stückes möglicherweise manche Dinge anders sehen …
Dieses schon preisgekrönte und oftmalig inszenierte Stück Igor Bauersimas hat es zum Glück bis hierher nach Wien geschafft und ist spannend bis zur letzten Minute. Mit Hingabe, Gefühl und Authentizität verkörpern Silvia Meisterle (Julie) und Stefano Bernadin (August) ihre Rollen. Das Bühnenbild ist bewusst dezent gewählt, die schauspielerischen Leistungen kommen dadurch noch stärker zur Geltung. Man versteht die zwei in ihrer Verzweiflung und Selbstaufgabe nur zu gut …
Dieses Stück ist sowohl für Jugendliche als auch Erwachsene uneingeschränkt empfehlenswert!
Jürgen Steiner