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2003/2004

Der Herr Karl 13 +

von Carl Merz und Helmut Qualtinger

Stückinfo

Ort: Theater im Zentrum, 1010 Wien, Liliengasse 3
Zeitraum: 09. Februar 2004 - 02. April 2004
Premiere: 11. Februar 2004
Regie: Thomas Birkmeir

»Ich mein, nicht daß ich blind wär' gegen die Fehler der Regierung … i war ja immer kritisch. Ich hab immer alles durchschaut … auch a Regierungsmitglied, wann i mir's so anschau … der is aa net anders wie i. Und i kenn mi. So san de alle.«
(Merz/Qualtinger. Der Herr Karl)

»Manchmal, wann i so lieg, hör i de Rettung vorbeifahrn … tatüü … dann denk i ma nur: Karl, du bist's net …«
(Merz/Qualtinger. Der Herr Karl)


Mittlerweile ist der Lebensentwurf des redseligen Opportunisten zum österreichischen Mythos geworden: »Der Herr Karl«, die Geschichte des kleinen Mannes, der bei jeder Gelegenheit die Menge sucht, um sich hinter ihr zu verstecken. Die Zeitumstände sind gegen ihn und gleichzeitig für ihn. Ein Niemand und Jedermann zugleich. Und viele Jahre nach seiner Entstehung trifft folgende Feststellung am schlimmsten: Der Herr Karl lebt, ganz in deiner Nähe!

Als der Monolog »Der Herr Karl« uraufgeführt wurde, war die Empörung groß. »Kaum ist endlich Gras über diese Sache gewachsen, kommt so ein Kamel daher und frisst es wieder ab!«, – so lautete das blumige Statement eines prominenten österreichischen Politikers, in welchem er sich auf die bis dahin gar nicht vollzogene Aufarbeitung des Nazi-Regimes in Österreich bezog. Auslandskorrespondenten wählten Qualtinger zum »Man of the Year«. Eine aufgebrachte Dame schrieb: »Nehmen Sie sich ein Beispiel an O.W. Fischer und Grace Kelly!«. Hingegen meinte ein »Vorbild« zur Figur des Herrn Karl am Tag nach der Erstausstrahlung im TV: »Und wissen Sie, es gibt solche Menschen.«

Im Intimen Theater, dem heutigen Theater im Zentrum, trat Qualtinger oft auf und präsentierte seine neuesten Texte und Parodien zu den zeitgeschichtlichen Ereignissen der damals noch jungen Zweiten Republik. Aus Anlass des Qualtinger-Jubiläums ist dies mit ein Grund, den Schauspieler Heribert Sasse in der Qualtinger-verminten Liliengasse um seine Karl-Interpretation zu bitten.


Aufführungsrechte: Thomas Sessler Verlag, Wien.

Besetzung

Herr Karl Heribert Sasse
Regie Thomas Birkmeir
Bühnenbild Andreas Lungenschmid
Dramaturgie Gerald M. Bauer
Assistenz und Inspizienz Irene Petutschnig
Hospitanz Meike Sasse

Kritiken

Neues Volksblatt – 13.02.2004

Ein ganz gewöhnliches Schicksal

Heribert Sasse ist nach Hinterstoder nun in Wien.

In Wien stellt man sich regelmäßig die Frage, ob der »Herr Karl« auch ohne Helmut Qualtinger vorstellbar sei. Regelmäßig wird dieses verneint, mit dem Ergebnis, dass sich kaum wer an das Stück wagt.

Schade, wie die Aufführung mit Heribert Sasse im Theater der Jugend zeigt. Denn löst man die Figur von Qualtingers Manierismen, steht man erstaunt vor einem echten Schicksal und nicht vor einer Kabarettnummer.

Sicher, sympathisch ist er nicht, jener Durchschnitts-Wiener, der sich mit einem Minimum an Arbeit durchs 20. Jahrhundert schwindelt, nach Bedarf Sozi, Nazi, Nachkriegsrepublikaner ist. Qualtinger gab ihm das kriecherisch Falsche, zeigte deutlich, dass der Schauspieler Qualtinger wusste, welche miesen Kerl er da spielt. So lieferte das Virtuosenstück mehr Lacher als Erkenntnis. Sasse nimmt die Figur in der Regie von Thomas Birkmeir direkter, »anständiger«: Dieser Herr Karl, der sich da vorm Kistenstapeln drückt, indem er einem fiktiven Zuhörer sein Leben erzählt, ist immer noch kein angenehmer Typ, aber auch keine Kunstfigur mehr. Und auf einmal nicht Kabarett, sondern Theater. Und viel mehr der Mann von der Straße. Bemerkenswert, der Sasse, der sich jede Virtuosität versagt, nicht nach Pointen hatzt, sondern einfach Wahrheit sucht – und findet.

RW


apa – 12.02.2004

Der Mitläufer als Wiedergänger

Heribert Sasse liefert eine eigenständige Interpretation des legendären Qualtinger-Solos

»Der Herr Karl« von Carl Merz und Helmut Qualtinger hat einen prominenten Platz in der österreichischen Literatur- und Fernsehgeschichte des 20. Jahrhunderts. Die Erstausstrahlung 1961 erregte die Gemüter – zu Recht, weil mitten in der Euphorie der wieder erworbenen Unabhängigkeit und des Wiederaufbaus jemand auf die hinterfotzigste Art das nach außen kehrte, was die meisten am liebsten versteckt hätten: die Verantwortung für die Vergangenheit. Jahrzehnte später bewiesen etwa die heftigen Diskussionen in der Waldheim-Zeit, dass sich an dieser Mentalität nichts geändert hat. Heribert Sasse, der nun den »Herr Karl« im Theater im Zentrum gibt, braucht sich also vor Aktualitätsverlust nicht zu fürchten. Ihm sitzt etwas anderes im Nacken: der Geist Helmut Qualtingers.

In der Liliengasse in Wien Innere-Stadt ist dieser Geist besonders präsent: Im Intimen Theater, das heute vom Theater der Jugend betrieben wird, trat Helmut Qualtinger früher immer wieder mit Texten und Parodien auf. Und natürlich hat man Qualtingers teigiges Gesicht mit Doppelkinn, seine traurigen, glasigen Augen, die massige Gestalt und den kleinen Beserl-Schnauz vor sich, ehe der Abend beginnt. Doch dann betritt Heribert Sasse die von Andreas Lungenschmied als Römerquellen-Kisten-Skyline in Grün und Gelb gestaltete Bühne. Er gibt den Mitläufer als Wiedergänger, den Opportunisten als Untoten, der nicht zur ewigen Ruhe finden kann, weil er nie energisch genug bekämpft wurde.

Sasse, als ehemaliger Generalintendant der Staatlichen Schauspielbühnen Berlins selbst ein Mann mit Geschichte, läuft nicht nur von der Erscheinung her nie Gefahr, zum Qualtinger-Nachahmer zu werden. Er ist nicht nur von der Physiognomie gänzlich anders – er ist brutaler, unverhohlener, direkter. Wo Qualtinger sich selbstmitleidig auf leisen Sohlen in die Gemüter der Zuschauer schlich, kennt Sasses Figur keinen Genierer mehr. Seine Frauenfeindlichkeit kaschiert dieser Herr Karl ebenso wenig wie seine Kunst, unter jedem Regime auf die Butterseite des Lebens zu fallen ohne aufzufallen.

Man kann den Leiter des Theaters der Jugend, Thomas Birkmeir, nur zu der Entscheidung beglückwünschen, seine vor einigen Jahren in Berlin erarbeitete Inszenierung nun für junges Publikum (empfohlen ist die Aufführung ab 15 Jahren) in Wien zu zeigen. Gerade im Hinblick auf das Gedenken an den Bürgerkrieg 1934, seine Vorgeschichte und seine Auswirkungen, ist das Stück angewandter Geschichtsunterricht und kann Anlass für eine intensive Diskussion mit Zeitereignissen und österreichischer Mentalitätsgeschichte sein. Dass »Der Herr Karl« keinen reinen Blick zurück liefert, zeigte gelegentlicher Szenenapplaus bei der Premiere gestern, Mittwoch, Abend: »Ich hab immer alles durchschaut …«, heißt es etwa einmal, »… auch a Regierungsmitglied, wann i mir's so anschau … der is aa net anders wie i. Und i kenn mi.«

Wolfgang Huber-Lang/APA


Wiener Zeitung – 13.02.2004

Gewinner oder Verlierer?

Wer kennt ihn nicht, oder glaubt ihn mindestens zu kennen: Den »Herrn Karl«. Nein, nicht das Theaterstück von Carl Merz und Helmut Qualtinger, sondern die präsentierte Figur. Wer ist eigentlich der »Herr Karl«? Welche Eigenschaften hat er? Ist er ein Gewinner oder ein Verlierer? Ein Gewinner selbstverständlich, werden jetzt die meisten sagen, ein brutaler Selbstanbeter, der es sich immer »richtet«. Ein »Judas«, der jeden und jede verrät, wenn es seinem Vorteil dient. Ein Fresser, Säufer, Hurenbock, ein »Ungeziefer«, das wohl alle überleben wird. Eine Art »Jedermann« ohne Läuterungsprozess. Ja, so einfach stellt sich das dar, als man nur Qualtinger selbst als Interpreten kannte. Und man versteht auch den Aufschrei, der zu hören war, denn die Autoren hatten ihrem Herrn Karl ja das »Mascherl« des Urwieners umgehängt. So wurde er zum Symbol für das Gegenteil vom »Wiener mit dem goldenen Herzen«.

Unterdessen ist viel Zeit vergangen, viele haben die Rolle interpretiert, ihr immer neue Facetten gegeben. Der Wiener Dialekt blieb, aber es wird immer deutlicher, dass es einen »Herrn Karl« überall geben kann. Und nun beschert uns das Theater der Jugend im Theater im Zentrum eine neue Lesart. Ein erdrückendes Bühnenbild aus Plastikkisten steuerte Andreas Lungenschmid bei. Regie führte Hausherr Thomas Birkmeir und es war ja zu erwarten, dass er nicht nur eine brillante Aufführung zustande bringen, sondern auch noch etwas Neues hinzufügen würde. Dazu braucht er allerdings einen exzellenten, schillernden Schauspieler und den fand er auch: Heribert Sasse. Und da steht er nun wieder einmal »Der Herr Karl« und redet und redet wie schon sattsam bekannt, und ist doch ganz anders. Dieser schmierige Typ ist kein Gewinner, er ist ein Verlierer. Der unverrottbare »Plastikmüll« rundum erdrückt ihn fast, diesen schäbigen kleinen Kerl mit der »selbstlosen Gemeinheit«, denn erwirtschaftet hat er sich ja nichts und seine von ihm selbst gepriesene Gesundheit ist sichtlich auch schon etwas angeschlagen.

Heribert Sasse spielt das fulminant, stimmig bis ins kleinste Detail. Furios verkörpert er einen Ewiggestrigen, der – und diesen »Hoffnungsschimmer« erlebt man hier erstmalig – so, wie er mit sich und den anderen umgeht, auch keine Zukunft hat.

Lona Chernel


Der Standard – 13.02.2004

Mitten durchs Geschichtsgebirge – Zur Premiere eines neuen »Herr Karl«

In einem im Theater im Zentrum zu mehreren Gipfeln hoch aufgetürmten Gebirge von Mineralwasser-Splitboxen (Ausstattung: Andreas Lungenschmid) trug Heribert Sasse am Mittwoch das erste Mal von noch zirka vierzig folgenden Malen den Herrn Karl von Helmut Qualtinger und Carl Merz (1961) vor. Hausherr Thomas Birkmeir hat damit seine aus Berlin stammende Inszenierung an eine Bühne (damals »Intimes Theater«) geholt, auf der Helmut Qualtinger seine Parodien einst gut und gerne vortrug; zweimal umfallen und man befindet sich in der Eden-Bar.

Sasse wiederum, der nach seinen Berlin-Intendanzen am Schiller-, Renaissance- sowie am Schlossparktheater wieder auf österreichischen Bühnen steht, erfüllt in der Darstellung dieses »Thinktanks« der österreichischen Seele dessen Anforderungsprofil auf ähnliche Weise haargenau.

Im Eineinhalbstundensolo poliert er, der dabei nicht selten tonlos sein großes Gegenüber anlacht oder sich mit dem Schnäuztuch schnell die Stirn wischt, das Chauvinistische des Gemeindebaubewohners, das Kaltblütige am Wendehals, das Selbstzufriedene im Dauerrechtfertiger wie nebenher blank. Das ist fix und fertig eingespielt, jedes hingezogene »Dringgäld« (fabelhaftes Wienerisch für einen aus Linz Gebürtigen) klingt und schwingt im Saal dankbar aufgenommen nach. »Ich könnt' Ihnen da Sachen erzählen!«

Das Schwierige an Aufführungen von Klassikern wie dem Herrn Karl ist die minimale Spannbreite an inhaltlicher wie darstellerischer Interpretation, schlichtweg: die Repetitions- oder Erfüllungskunst. Dem entkommt kaum eine Aufführung, auch nicht diese. Jedoch hat Regisseur Birkmeir dem Ganzen eine kluge Weiche gestellt, indem er die Produktion im Verband des Theaters der Jugend und für ein Publikum ab 15 Jahren zeigt, das sich attributiv zum Geschichtsunterricht mit einem Besuch dieser Aufführung ein gutes Stück Österreichkunde abholen kann.

Heribert Sasse wird ihnen im Gedächtnis bleiben, bestimmt genau so, wie es der Qualtinger einst am Fernseher oder im Theater vermochte. Es sind jeweils monströse, unbestritten einmalige Figuren, von denen jedes Theater lebt. Gebirgsschauspieler.

Margarete Affenzeller


Kronen Zeitung – 13.02.2004

Doch ein »verflixter Kerl«

Immer mittendrin und doch nicht dabei: Carl Merz & Helmut Qualtinger schufen ihn, viele liebten – oder hassten – ihn ob seines Opportunistendaseins, und mancher hat sich seit seiner Vorstellung 1961 als Paradebeispiel eines politischen Chamäleons versucht. Für das Theater der Jugend schlüpfte nun Heribert Sasse unter der Regie von Thomas Birkmeir in die Rolle des »Herrn Karl« – und das im Theater im Zentrum, im ehemaligen »Intimen Theater« des Teams Bronner, Merz, Qualtinger in der Liliengasse.

Unbestritten! Qualtingers Darstellung des Herrn Karl bleibt unerreicht. Und doch gelingt es seinen »Epigonen«, neue Facetten in der Figur des typischen Wieners zu entdecken. Als ganz und gar »unpolitischer Mensch« versucht sich Merz/Qualtingers Lagerist ins rechte Licht zu rücken: Sasse gelingt das mit einer Mischung aus "gschupfter Ferdl" und lässigem Betrachter seiner eigenen nicht gerade ruhmreichen Vergangenheit zwischen den Kriegen, im Nazi-Regime, in der Besatzungszeit und im Wiederaufbau.

Zwischen Türmen aus Kisten mit Mineralwasser und Konservendosen mit Fisolen (Bühne und Licht: Andreas Lungenschmid) hebt er zur Verteidigungsrede an, rollt die Augen, schaut drohend ins unbekannte Gegenüber …

Über Arbeit redet er viel, hat sie aber nicht gern. Und wenn es um die Politik geht, ist er genau der schleimige Mitläufer, der sich auch noch empört, dass ihn der gepeinigte jüdische Nachbar Tennenbaum nach dem Fall des NS-Regimes nicht mehr grüßt. Aber wenn es um die Frauen geht, um die Billeteusen und Witwen, dann glättet er sich die von Pomade verklebten Haare und bekommt jenen lüsternen Blick, der an jedem Würstelstand noch heute anzutreffen ist.

Der Herr Karl und die Frauen: Daraus macht Sasse seine eigene Geschichte. Er "spechtelt" und zieht über sie her, flüchtet vor ihnen, wenn es brenzlig wird … eben ein verflixter Kerl! Da bekommt er das Lüsterne, Schmierige, Perfide, und dann reicht an ihm alles nach ungewaschenem Mann.

Birkmeir weiß von den Qualitäten seines Gastes: Pointen werden da nicht mit theatralischem Effekt serviert. Denn das Maß der Regiedinge liegt im Hintergrund. Unbemerkt und unbemerkbar. Bei einer Figur wie der des Herrn Karl, aber auch bei einem Typen wie Heribert Sasse ein leichtes Unterfangen!

Thomas Gabler